Dienstag, 1. September 2009

Annabelle

Die neue Ausgabe des Frauenmagazins warb mit einem „Rotlicht-Report“. Der Artikel entsprach ziemlich dem, was ich erwartet hatte- halbwegs seriös, ein Schwerpunkt auf schockierenden Zitaten. Nicht wirklich neue Informationen, aber wenigstens recherchiert und ein einigermassen realistischer Blick auf die Strassenprostitution- weder übertrieben negativ noch beschönigend. Nicht, dass ich viel davon aus erster Hand wüsste, aber ich gebe mir Mühe ein möglichst Umfassendes Bild davon zu haben. Schliesslich haben wir heutzutage Zugang zu einer Vielzahl von Informationsquellen, auch neben dem Mainstream, welche eine Vielzahl von Erfahrungen und Standpunkten bereithalten.

Was jedoch sehr bitter aufstösst, sind die Aussagen der Chefredaktorin im Editorial.

„…fassungslos über diese beiden Existenzen, die davon leben, ihren Körper zu verkaufen, und dabei ihre Seele verloren haben. Nie, nie, nie wird für mein Empfinden Prostitution ein Job sein wie andere auch.“

Solche Aussagen über Mitmenschen zu machen- nicht weil diese Mörder und Sadisten wären, sondern Sex für Geld anbieten... Ich bin fassungslos.

Nachtrag vom 11.September: Ich schrieb der Redaktorin eine E-mail, in der ich sie fragte woher sie das Recht nehme, solche grausamen und erniedrigenden Sachen zu sagen. Sie begründete dies damit, dass das Editorial die Kriterien der Ehrlichkeit und der Persönlichkeit erfüllen müssten, und deshalb könne das Editorial nicht immer politisch korrekt sein. Sie könne Prostitution einfach nicht verstehen.
Politische Korrektheit?? Man stelle sich vor sie hätte Schwarze als "hirnlose Affen" oder Homosexuelle als "widernatürliche Freaks" bezeichnet. So etwas wäre NIEMALS publiziert worden, und zwar zurecht. Aber Prostituierte als seelenlose Existenzen zu bezeichnen? Kein Problem...
Man braucht nicht etwas zu verstehen um ein Mindestmass von Respekt und Rücksicht an den Tag zu legen.

7 Kommentare:

Charlotte Sometimes hat gesagt…

Für die meißten bleiben andere Frauen halt immer die ewige Konkurrentin. Es kann, so nach ihrem Weltbild, nicht sein dass man Liebe und Sex trennen kann oder sogar darf (Hey, ich ess auch liber Hummer, aber manchmal reicht es halt nur für mäcces- welches von beidem jetzt welches ist bleibt dahin gestellt). Egal ob Mann (oder Frau) einen fetisch hat der mit dem Partner nicht ausgelebt werden kann (darf), egal ob der einsame Herr vom 20. Stock des Plattenbaus mit beunruhigendem Hang zu jungen Mädels seit Jahren unterfordert ist, das darf halt einfach nicht sein dass es Frauen gibt die diese Trennung nicht nur durchziehen, sondern sich auch die Mühe machen sich dafür jeden Tag her zu richten (ich weiß, putzen kochen waschen und auf matze-leopold-justin aufpassen ist harte arbeit, da bleibt das styling manchmal auf der strecke).All dies stellt dann für die gestresste Karriere Frau in der Redaktion eine zusätzliche Bedrohung dar, wie kann man denn nur einen Job machen, bei dem (ich möchte mal auf venusreport.com hinweisen) Frau sogar Spaß hat? Nee geht gar nicht, sorry. Dann doch lieber einen Kindermörder beim Dinner mit Freunden am Tisch... Sorry, bin etwas mitgerissen worden *g*

Sina hat gesagt…

Hehe, kein Problem. Ich glaube nicht dass die Chefredaktorin aus Eifersucht/Bedrohung diese Aussage gemacht hat, eher hat sie sich dem herkömmlichen Propaganda-Vokabular und Mitleidsvorurteilen bedient, ohne sich viel Gedanken um die Tragweite solcher Worte zu machen. Ich habe ihr eine E-mail mit dem Hinweis darauf geschickt, sie schrieb gleich zurück und erklärte, sie wolle diese Frauen nicht herabsetzen, sie könne es einfach nicht verstehen. Das ist das Problem- viele, welche solche Aussagen machen sind sich gar nicht bewusst, wie erniedrigend ihre Worte sind.

Yensaya hat gesagt…

Hallo,
ich habe leider vin der Thematik nicht soviel Ahnung, aber ich habe irgendwie hab ich das Gefühl, dass das was da in der Zeitung passiert ist sehr aussagekräftig ist wie die Gesellschaft mit der Thematik umgeht.

Artikel und Beiträge zu dem Tehma wie du es nennst halbwegs-serös sind Okay. Aber sobald es dann von der "objektiven Ebene" des Artikels (Es gibt Prostitution also berichten wir drüber) auf die Stufe der persönlichen Meinung (hier im Editorial) geht ist man "Verpflichtet" das dann ganz schrecklich zu finden.

Hat für mich irgendwie sowas von "jaja das gibt es (Artikel) ich persönlich finde das aber ganz schrecklich (Editorial)."

Hoffe das macht halbwegs sinn ^^'''
LG
~saya

illith hat gesagt…

ich find die ausdrucksweise der dame auch nicht ok.
aber ich finde es nicht zulässig, die diskriminierung aufgrund einer selbst gewählten polit-/berufs-/etc-gruppe mit der diskriminierung einer gruppe gleichzusetzen, in die man hineingeboren (homosex., dunkle hautfarbe etc.) oder '-geraten' (zb körp. behinderung) ist.

das ist ja auch ein ganz beliebtes bollo-"argument" von leute mit rechten ansichten: "wenn die toleranz gegenüber ausländern/homos/bla fordern, dürfen die auch nicht rechte/homophobe/sexistische leute diskriminieren!" *gnah*
(natürlich setze ich nciht nazis mit prostituierten gleich, nur ein beispiel ;) )

Sina hat gesagt…

Stimmt, man kann die Gruppen nicht so gleichsetzen. Ist natürlich nicht dasselbe, aber ich finde man kann es bis zu einem gewissen Grad vergleichen. Gerade zum Beispiel bei der körperlichen Behinderung: Für einige Prostituierte ist es auch so, dass Sie darin "geraten" sind und ihren Beruf nicht selbst gewählt haben. Und mit Homosexuellen hat man die Gemeinsamkeit, dass beide unter anderem Aufgrund von sexuellen Tätigkeiten diskriminiert werden.

Sina hat gesagt…

Die Gruppen, welche den Toleranzbegriff als "bollo-argument" missbrauchen haben eines gemeinsam: Sie halten den Grundsatz von Toleranz und Respekt anderen Menschen gegenüber selbst nicht ein. Die Gruppen definieren sich ja vor allem durch die gemeinsame Ablehung von einer anderen Gruppe. Deshalb haben sie auch kein Recht, für sich selbst Toleranz einzufordern. Mehr dazu werde ich vielleicht in einem nächsten Post schreiben, das Thema hat mich gerade gepackt:-)

illith hat gesagt…

ja, die übergänge - wie so ziemlich immer im leben - sind natürlich fließend ;)

zb werde ich als veganerin natürlich auch oft "diskriminiert". das ist mM aber natürlich auch wieder nicht mit der diskriminierung von "ausländern", trans-leuten usw gleichzusetzen, da es eben eine von mir gewählte gruppenzugehörigkeit ist (s.o.).
auf der anderen seite könnte ich aber auch sagen, dass meine innere 'veranlagung', für die ich ja bewusst nichts kann, mich dazu "zwingt", den veganen lebensstil zu wählen und ich einfach kein fleisch essen KÖNNTE (obwohl ich physisch dazu in der lage wäre).
öhm naja, ich hoffe, das war halbwegs verständlich^^°

bin jedenfalls gespannt auf weitere posts von dir zum thema :)